Kanada
Kanada bietet mit Canadian Medicare allen Staatsbürgern eine staatliche Krankenversicherung. Darüber hinaus haben zwei Drittel der Bevölkerung eine private Zusatzversicherung. Die Krankenkassen stehen unter öffentlicher Verwaltung und werden in den 13 Provinzen und Territorien gesondert finanziert, was zu Unterschieden bei der Versorgung führt. Die Provinzen und Territorien werden von der Bundesregierung auf Pro-Kopf-Basis finanziell unterstützt. Davon abgesehen tragen die Provinzial- und Territorialregierungen die Hauptverantwortung für die Finanzierung, Organisation und Bereitstellung der Medicare-Programme sowie für die Qualitätskontrolle der selbstverwalteten Leistungserbringer (Commonwealth Fund 2020b).
Krankenhäuser sind überwiegend Non-Profit-Organisationen der öffentlichen Hand. In der Provinz Ontario gibt es jedoch mehr Privatkrankenhäuser. Laut Canadian Institute for Health Information (CIHI), einer unabhängigen Non-Profit-Organisation, die wichtige Daten zum kanadischen Gesundheitssystem und zur Gesundheit der Kanadier liefert, gibt es in ganz Kanada 91.325 Krankenhausbetten (CIHI 2019a). Laut WHO (2020) entfielen im Jahr 2016 auf 10.000 Einwohner 25,2 Krankenhausbetten, was einer Abnahme von 33 Prozent gegenüber dem Jahr 2000 entspricht. Krankenhäuser werden meist von beauftragten Gesundheitsbehörden oder Vorständen aus Gemeindevertretern verwaltet.
Umsetzung von PROMs
Kanada ist dabei, landesweite Standards für die Erhebung von PROMs in bestimmten Indikationsgebieten aufzustellen; allerdings steht deren Einführung gerade erst in einigen Bundesstaaten an. Federführend bei der Entwicklung und Festlegung der nationalen PROMs-Standards ist das CIHI. Da hauptsächlich die Provinzen und Territorien für die Gesundheitsversorgung zuständig sind, kann das CIHI nur Empfehlungen abgeben, aber keine landesweit verbindlichen Richtlinien erlassen. In den Jahren 2013 bis 2014 führte das CIHI eine Untersuchung der kanadischen und internationalen PROMs-Landschaft durch. Die Analyse zeigte, dass es zwar einige regionale PROMs-Initiativen in Kanada gibt, aber kein standardisiertes Programm für die routinemäßige Erhebung und Berichterstattung zu PROMs. Der Bedarf nach PROMs-Informationen zur Unterstützung einer Reihe von Gesundheitszielen wurde als besonders wichtig erklärt, unter anderem auf der vom CIHI und von Statistics Canada gemeinsam ausgerichteten Konsensus-Konferenz im Oktober 2014 (CIHI 2015).
Im Jahr 2015 veranstaltete das CIHI ein pankanadisches PROMs-Forum, um Möglichkeiten zur Standardisierung der PROMs-Erfassung und -Berichterstattung zu ergründen. Ergebnis war die Empfehlung zur Aufstellung eines pankanadischen PRO-Programms. Um diese Idee umzusetzen, wurde eine Beratungsgruppe mit Interessenvertretern aus Zuständigkeitsbereichen, Forschern und Gesundheitsexperten eingerichtet. Daraus entstanden indikationsspezifische Arbeitsgruppen sowie eine Gruppe für allgemeine PROMs-Instrumente (CIHI 2017). Bislang ist ein nationaler Standard für Hüft- und Kniegelenkersatz entwickelt worden, der 2019 veröffentlicht wurde. Standards aus dem Handbuch für die PROMs-Datenerfassung: Hüft- und Kniearthroplastik (The PROMs Data Collection Manual: Hip and Knee Arthroplasty) wurden zuerst in Ontario umgesetzt. In Zusammenarbeit mit dem CIHI läuft zurzeit ein Pilotprogramm zur ergebnisorientierten Beschaffung (Procurement), in dem PROMs-Daten erfasst werden. Unterstützt und finanziert wurde dieses Projekt von der Provinzialregierung Ontario (CIHI 2019b).
Die nationalen Bemühungen zur Standardisierung sind auf die breiten Anwendungen von PROMs in verschiedenen Initiativen, Registern, klinischen Studien und anderen Forschungszusammenhängen in den Provinzen und bei Versorgern zurückzuführen. Alberta und British Columbia haben bei der Umsetzung eines vollständigen PROMs-Programms bereits große Fortschritte erzielt. Diese beiden Provinzen haben sowohl in eine zentralisierte Datenerhebung als auch in die Integration von PROMs in ePA-Systeme investiert. In einigen Provinzen findet die Umsetzung von PROMs in großem Umfang statt, aber auch anderswo zeichnen sich merkliche Entwicklungen in diesem Bereich ab. In Quebec werden beispielsweise Lebensqualitätsindikatoren zur Evaluation der Programmwirksamkeit sowie für das Schmerz- und Symptommanagement in der Krebs- und Palliativbehandlung eingesetzt. Das Canadian Organ Replacement Registry (CORR) führte ein Forschungsprojekt zur PROMs-Erfassung im Bereich Nierendialyse durch; eine fortlaufende Erfassung von PROMs in einer Datenbank findet aber nicht statt. Zudem werden PROMs in diversen Forschungsprojekten eingesetzt, wie zum Beispiel die Canadian Multicenter Osteoporosis Study, in der PROMs bereits seit 1995 angewendet werden (CAMOS 2020).
Krankheitsbilder und Therapiegebiete im Fokus
Verschiedene Indikationsgebiete werden durch Landes-, Regional- und Pilotprojekte abgedeckt. CIHI-PROMs-Standards gibt es bereits für den Bereich Hüft- und Kniegelenkersatz; für chronische Nierenkrankheit sind sie in Arbeit (CIHI 2018). Da die PROMs-Umsetzung in diesen Indikationsgebieten am weitesten fortgeschritten ist, leitet das CIHI auch die Arbeitsgruppe International Hip and Knee Replacement Surgery im Rahmen des Patient Reported Indicator Survey (PaRIS) der OECD. Laut einer Vergleichsstudie zur Versorgung bei Nierenerkrankungen von Lunney et al. (2019) werden PROMs in den meisten kanadischen Hämodialysezentren bereits erfasst (51 bis 75 Prozent), jedoch nur in wenigen Peritonealdialysezentren (1 bis 10 Prozent). PROMs zu Transplantationen werden von keiner Einrichtung erhoben und berichtet.
Im Registry Cancer Care Ontario werden Daten zur psychischen Belastung aus allen Onkologiezentren Ontarios erfasst (ACSQHC 2016b). In anderen Projekten geht es um chronische Erkrankungen, wie zum Beispiel Nierenversagen (Northern Alberta Renal Program) oder Kniearthroplastik (PEAK Project) (University Hospital Foundation 2020; CIHI 2015). Das Projekt Regional Evaluation of Surgical Indications and Outcomes (RESIO) umfasst darüber hinaus verschiedene elektive Eingriffe, darunter Prostatektomie, Hysterektomie, Cholezystektomie, Diskektomie an der Lendenwirbelsäule und Kataraktoperationen. In Alberta ist eine Erweiterung der Routineerfassung und -verwendung von PROMs für Herz-Kreislauf-Krankheiten, chronische obstruktive Lungenerkrankung und Primärversorgung mit Fokus auf chronische Erkrankungen geplant.
Formen der PRO-Datennutzung
Die Art der PRO-Datennutzung unterscheidet sich erheblich je nach Provinz und Versorgerumfeld. In Alberta werden PROMs beispielsweise für Jahresberichte, Performance Monitoring, Benchmarking und die jährliche Befragung zur Volksgesundheit der Provinzen herangezogen (Alberta Government 2020). Seit 2016 werden PROMs von Versorgungsnetzwerken als Leistungsindikatoren in ihre Rahmenbedingungen zur Rechenschaftspflicht aufgenommen und unmittelbar in die Arbeitsabläufe integriert. Im Jahr 2015 wurde die Alberta PROMs and EQ-5D Research and Support Unit (APERSU) eingerichtet, die den Einsatz des EQ-5D-Fragebogens koordinieren und fördern soll. In British Columbia wurde eine Studie mit 5.000 Patienten durchgeführt, in der Vorteile und Kostenwirksamkeit von PROMs in der Routineversorgung bewertet wurden (RESIO Project) (Mcgrail, Bryan und Davis 2011). Einige Provinzen/Territorien testen bereits digitale Datenerhebung, die papiergestützte Erfassung ist jedoch nach wie vor geläufiger.
Darüber hinaus gibt es PROMs-Programme auf Lokal-, Regional- und Versorgerebene, deren Einbindung in die Routineversorgung jedoch unterschiedlich ausfällt. In der kleinen Provinz Manitoba zum Beispiel werden PROMs-Daten aus dem Bereich Hüft- und Kniegelenkersatz an Ärzte zurückgeleitet, um das Shared Decision Making zu verbessern. Ausgehend von den ersten PROMs-Erfahrungen in Manitoba wurde 2019 das Provincial Patient-Reported Measurement Strategy Advisory Committee einberufen, das an der Erfassung, Analyse und Verwendung von PROMs und PREMs in Manitoba arbeiten soll (Centre for Healthcare Innovation 2020). Von daher ist eine vermehrte und besser standardisierte Nutzung zu erwarten.
Da das CIHI die PRO-Erfassung anhand gemeinsamer Standards für den Bereich Hüft- und Kniegelenkersatz gerade erst einführt, werden PRO-Daten noch nicht auf Bundesebene eingesetzt oder freigegeben. Zurzeit werden aggregierte Daten an das Gesundheitsministerium weitergeleitet, während persönliche Berichte an einzelne Datenprovider und Krankenhäuser in Ontario gehen. Sobald sich weitere Provinzen angeschlossen haben, könnte die Berichterstattung erweitert werden, damit Vergleiche zwischen den Provinzen möglich sind (Interview CIHI).
Herausforderungen
Der landesweit sehr unterschiedliche Stand der Umsetzung von PROMs in Kanada bedeutet, dass die einzelnen Provinzen mit jeweils unterschiedlichen Hürden konfrontiert sind. In Alberta, British Columbia, Ontario und Manitoba machen sich die Provinzialregierungen für die PRO-Erfassung und -Nutzung stark, insbesondere im Bereich Hüft- und Kniearthroplastik. In einigen anderen Provinzen und Territorien fehlt ein solches staatliches Engagement für eine zentralisierte Datenerfassung und die Leistungserbringer erhalten keine zusätzlichen Ressourcen zur PRO-Erfassung und -Verwendung. In einigen Fällen gibt es dieses staatliche Engagement für andere Indikationsgebiete, wie zum Beispiel die Primärversorgung (Saskatchewan). In anderen Provinzen sind wiederum keine Vorstöße zur zentralisierten Erfassung von PRO-Daten erkennbar. Das CIHI vermeldet ein gemeinsames, provinzübergreifendes Interesse an der Erhebung, das nun auf regionaler Ebene in praktische Maßnahmen umgesetzt werden muss.
Die Erfassung und Verwendung von PROMs auf Versorgerebene werden von Experten als Herausforderung gesehen, besonders bei der Nachbeobachtung von Patienten außerhalb des Versorgerumfelds. Die PRO-Datenerfassung wird dadurch erschwert, dass sie häufig papiergestützt erfolgt. Zudem sind Datenintegration und Vergleiche zwischen verschiedenen Einrichtungen kaum möglich, da Versorger jeweils ihre eigenen elektronischen Patientendatensysteme nutzen. Provinz- und Territorialstandards, die die Einbindung von PROMs in ePA-Systeme fördern und damit die Anwendung von PROMs erleichtern würden, fehlen häufig. Weitere Herausforderungen ergeben sich aus unterschiedlichen Prioritäten, Budgets und Infrastrukturen.
Erfolgsfaktoren
Die Erfassung und Verwendung von PRO-Daten zum Hüft- und Kniegelenkersatz haben in Kanada eine Vorbildfunktion. Gründe dafür sind die breite Unterstützung seitens der Kliniken, wissenschaftliche Belege für Schmerzlinderung und Verbesserung von funktionellem Status und Lebensqualität, eine hohe Prävalenz sowie Vergleichsmöglichkeiten mit internationalen Programmen. Die Erkenntnisse aus der Umsetzung des PROMs Data Collection Manual: Hip and Knee Arthroplasty führten zur Festlegung von Standards, die bei der Einführung in anderen Indikationsgebieten genutzt werden könnten. Chronische Nierenerkrankungen und Organtransplantationen sind voraussichtlich die nächsten Bereiche, für die gemeinsame landesweite Standards entwickelt werden.
Um PROMs konsequent erfolgreich umzusetzen, empfiehlt das RESIO-Forschungsteam zunächst kleine, aufeinander abgestimmte Versuchsprojekte zur Versorgung bei chronischen Krankheiten sowie die Einberufung einer pankanadischen Arbeitsgruppe, die mit der Koordinierung und Organisation dieser Initiativen beauftragt ist (Mcgrail, Bryan, Davis 2011). Das CIHI setzt sich bereits mit den Indikationen Hüft- und Kniegelenkersatz, chronische Nierenerkrankung sowie einem allgemeinen Standardfragebogen auseinander. Weitere Bereiche werden laufend hinzugefügt, um den Umsetzungsumfang zu erweitern.
Laut Nicole de Guia, PROMs-Expertin beim CIHI, nehmen Ontario, Alberta und British Columbia aufgrund der von den Provinzialregierungen angestoßenen Zentralisierung zurzeit eine führende Rolle bei der Nutzung klinischer Daten und PRO-Daten ein. Die erfolgreiche Einrichtung einer Datenintegration in diesen Provinzen kann Vorbild für die effektive Umsetzung im ganzen Land sein.
Herausforderungen der Umsetzung | Erfolgsfaktoren |
IT-Infrastruktur je nach Versorger unterschiedlich | » Zentralisierte Datenerfassung und Dateninfrastruktur auf Provinzebene mit Unterstützung der Provinzialregierung (z.B. Alberta).
» Finanzielle Unterstützung der Provinzialregierung für IT-Infrastruktur bei Versorgern (z.B. Tablets zur Umsetzung von PROMs im Bereich Hüft- und Knieersatz in Ontario). |
Tatsächliche Umsetzung im Versorgerumfeld wird erschwert durch niedrige Antwortraten, fehlende Datenintegration und Mangel an Arbeitskräften | » Die Integration von Patienten-/Betreuerauskünften in die ePA könnte nicht nur die angestrebte digitale Nachverfolgung, sondern auch die Nutzung detaillierter Informationen durch Personal und CIHI erleichtern.
» Finanzielle Unterstützung sollte nicht nur Mittel für die IT-Infrastruktur umfassen, sondern auch für zusätzliches Personal |